Bürgerpreis 2017 für interreligiösen Dialog – Preisverleihung im Landtag

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Landtagspräsidentin Barbara Stamm hat in einem Festakt die Preisträger des mit insgesamt 50.000 Euro dotierten Bürgerpreises ausgezeichnet. Motto2017 war: „Mein Glaube. Dein Glaube. Kein Glaube. – Unser Land! Bürgerschaftliches Engagement und weltanschaulicher Diskurs für eine Gesellschaft des Respekts und der Verständigung“. Prämiert wurden Gruppierungen, die sich ehrenamtlich für das friedliche Miteinander verschiedener Glaubensrichtungen und damit für die gemeinsame Gestaltung unserer Heimat einsetzen.



Gerade in schwierigen Zeiten sei es von ehrenamtlich tätigen Bürgern so mutig wie notwendig, auch schwierige Themen anzugehen, erklärte Barbara Stamm im Senatssaal des Maximilianeums. „Ich betone immer wieder, dass der Landtag mit dem Bürgerpreis auch auf schwierige Themen zugeht und zwar einmütig, quer durch die Fraktionen. So war es auch beim diesjährigen Bürgerpreis, der das Engagement der Menschen in Bayern würdigt.“ Die Abgeordnete und Jury-Mitglied Ruth Waldmann ergänzte: „Es geht darum, sichtbar zu machen, was Ehrenamt in unser Gesellschaft leistet, um den Laden zusammen zu halten.“

Der Beirat des Bürgerpreises habe sich sehr bewusst für das Thema des Dialogs zwischen den Religionen entschieden, betonte die Landtagspräsidentin. „Die Würde des Anderen sollte im Mittelpunkt stehen. Es gibt bei uns keine Staatsreligion, es herrscht Religionsfreiheit. Und die kann es nur geben, wenn jeder den jeweils anderen Glauben respektiert und auch akzeptiert.“

Stefan Wimmer, Vorsitzender des Vereins der Freunde Abrahams, der mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnet wurde, mahnte in seiner Danksagung mehr Achtsamkeit in der öffentlichen Debatte – gerade auch von der Politik. „Einige wenige unbedachte Worte oder Sätze können zerstören, was wir im interreligiösen Dialog über Jahre aufgebaut haben. Das gilt für Politiker, aber auch für die Medien. Es darf keine Abgrenzung und damit Abwertung von Menschen geben, nur weil sie ihren Glauben leben.“

Dafür gab es im Saal viel Applaus, ebenso wie für die Kinder verschiedenster Glaubensrichtungen, die zuvor in einer Videoeinspielung über ihre Vorstellung von Gott und Religion gesprochen hatten. Gott könne keinesfalls auf einer Wolke wohnen, denn durch die würde er hindurchfallen, im Paradies ist es wunderschön mit bunten Pflanzen und dort würden viele schöne Dinge geschehen. Massagen beispielsweise würde man bekommen. Religion ist bei den Jungen also präsent und spielt trotz vieler Unkenrufe immer noch eine Rolle im Leben der Menschen. Und damit muss man sich befassen, darin waren sich alle einig. / zg

Video von der Preisverleihung:

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1. Preis (12 000 Euro)
Eugen-Biser-Stiftung – Dialog aus christlichem Ursprung, München/Oberbayern
Die unabhängige, gemeinnützige Eugen-Biser-Stiftung wurde im Jahr 2002 gegründet. Sie ist im Christentum verankert und dem Gedankengut Eugen Bisers (verstorben im Jahr 2014) verpflichtet. Eugen Biser - Theologe, Religionsphilosoph und Priester, Inhaber des Lehrstuhls für christliche Weltanschauung an der Universität München - verstand die christliche Botschaft der bedingungslosen Liebes¬zusa¬ge Gottes als Ermutigung für den Menschen, sein Leben auf die Zukunft hin offen und angstfrei zu gestalten.

Seiner Auffassung nach ist der Mensch noch weit entfernt von dem, was er sein kann und soll, denn er wird in seiner Entwicklung von der Angst vor Gott, den Mitmenschen und sich selbst gehemmt. Religionen helfen dabei, diese Ängste mit ihren je eigenen Wahrheiten durch Zusagen von Hoffnung und Sinn zu überwinden. Bei einem Zusammentreffen mehrerer Religionen ist es Voraussetzung für einen friedlichen, zielführenden Dialog, dass die Dialogpartner ihre je eigene Religion verstehen.
Die Eugen-Biser-Stiftung sieht sich als Brückenbauer zwischen den Religionen. Sie sucht nach Antworten auf drängende religiöse, gesellschaftliche und kulturelle Fragen. Der interreligiöse und interkulturelle Dialog setzt die Offenheit voraus, den Anderen vorurteilsfrei in seinem Selbstverständnis und seiner Lebenspraxis kennenzulernen. Ziel ist es, gemeinsam einen Weg zu finden, wie Unterschiede auf der Grundlage gegenseitigen Verständnisses respektiert werden können. Mit ihren Aktivitäten will die Eugen-Biser-Stiftung aus christlicher Sicht einen Beitrag leisten und Impulse setzen für den Frieden zwischen den Religionen und für ein gelingendes Zusammenleben in einer pluralen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft.

Die Brücken will die Eugen-Biser-Stiftung in mehrere Richtungen bauen: Der Dialog mit dem Judentum soll die Bereitschaft fördern, den Eigenwert jüdischen Glaubens und Lebens zu schätzen. Das Christentum, das aus der an das jüdische Volk ergangenen Gottesverkündigung hervorgegangen ist, steht hier besonders in der Verpflichtung. Schließlich wurde das Judentum auch im Namen Christi jahrtausendelang abgewertet und verfolgt. Die Stiftung bemüht sich darum, die theologischen Wurzeln der Missverständnisse aufzudecken und erarbeitet gemeinsam mit anderen Partnern eine „Encyclopedia of Jewish-Christian Relations“.

Bei ihrem Dialog mit dem Islam verfolgt die Stiftung das Ziel, dass sich Christen und Muslime jeweils von den eigenen Wurzeln ihrer Religion her für die unbedingte Anerkennung und Einhaltung von Menschenwürde und Religionsfreiheit einsetzen. In diesem Sinne hat die Eugen-Biser-Stiftung das Grundlagenwerk „Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam“ erarbeitet und veröffentlicht, das erstmals eine christliche und muslimische Sicht auf die eigene Religion nebeneinanderstellt. Dieses Lexikon und das von der Stiftung herausgegebene „Handbuch Christentum und Islam in Deutschland“ bilden die Grundlage für die praxisorientierten Projekte der Stiftung, die sich vor allem an Jugendliche, junge Erwachsene und Studierende richten:
-   Mit „Interreligiösen Projekttagen an Gymnasien und Berufsschulen“ erreicht die Stiftung, dass sich alle Schüler einer Jahrgangsstufe in einem noten- und wertungsfreien Raum dem Thema Religion und Weltanschauung, ihrem Werteverständnis und deren gesellschaftspolitischen Auswirkungen widmen.
-   Bei Projekten und Workshops mit christlichen und muslimischen Jugendverbänden verfolgt die Stiftung das Ziel, dass Jugendliche eine gegenseitige Verständigung über ihre Religion erreichen, dass sie sich gemeinsam für Demokratie und ein friedliches Zusammenleben einsetzen.
-  Mit dem Modellprojekt „Bundesfreiwillige für religiöse Vielfalt und Toleranz“ erarbeitet die Stiftung erstmals ein Modul zum Einsatz für die politische Bildung in den Bildungszentren für den Bundesfreiwilligendienst. Damit sollen Bundesfreiwillige befähigt werden, mit unterschiedlich religiös und kulturell begründeten Menschenbildern sowie mit Vorurteilen und Stereotypen über Andersdenkende und Andersgläubige umzugehen.

Wichtig für das Gelingen vorstehender Projekte ist die fundierte Kooperation mit den jeweiligen Lehrkräften und Pädagogen. Deshalb hat die Eugen-Biser-Stiftung zur Fortbildung von Lehrern und Pädagogen ein Schulungsprogramm mit folgenden Zielen entwickelt:
-     Stärkung der interreligiösen Kompetenz
-     Differenzierung von Religion und religiös-politisch motiviertem Extremismus
-     Ausbildung der religiösen Sprachfähigkeit von Schülerinnen und Schülern als Voraussetzung für den Dialog unter den Schülern
Die Eugen-Biser-Stiftung baut auch Brücken für den Dialog mit Menschen, die ihre Werteorientierung nicht unmittelbar aus religiösen Quellen gewinnen. Denn gesellschaftliches Zusammenleben auf der Basis der Anerkennung von Menschenwürde und Freiheitsrechten ist nur möglich, wenn sich Glaubende und Nicht-Glaubende über diese Grundprinzipien und ihre Bedeutung einig sind. Ein Ausdruck dieser Bemühungen sind die Veranstaltungen zum Thema „Religion, Konfessionslosigkeit und Atheismus“ und deren Veröffentlichung.

Bei ihrem Engagement lässt sich die Eugen-Biser-Stiftung von der Diagnose Eugen Bisers leiten:
„Wir leben in einer Stunde des Dialogs und überleben nur, wenn die wachsenden Konfrontationen durch eine Kultur der Verständigung überwunden werden“.

2. Preis (9 000 Euro)
Zelt der Religionen, Bamberg/Oberfranken


Das „Zelt der Religionen“ war eigentlich eine Art Einweg-Veranstaltungsort. Es war ein Element der Bamberger Landesgartenschau 2012, aber schnell wurde Bamberger Christen, Juden und Muslimen klar: Daraus muss eine dauerhafte Begegnungsstätte für den interreligiösen Dialog in der Stadtgesellschaft werden. Das Zelt war ein regelrechter Publikumsmagnet, die Idee des interreligiösen Dialogs auf Augenhöhe zündete offenkundig. Also wurde ein Förderverein gegründet, um einen sichtbaren Ort zu schaffen, der symbolisch, aber auch inhaltlich für den Dialog zwischen den Religionen steht. Denn: „Dialog ist ein ständiger Prozess und benötigt einen Raum“, wie Andrea Hoffmann vom Förderverein zusammenfasst. Ihr ist es wichtig zu betonen, dass alle gemeinsam dazu beigetragen haben, dieses bundesweit einzigartige Projekt umzusetzen. „Entweder alle drei Religionen zusammen oder gar nicht“. Alleine die Finanzierung für den Neuaufbau (immerhin fast 90.000 Euro) zu stemmen und den neuen Standort am Markusplatz mitten im Herzen Bambergs durchzusetzen, zeugt vom besonderen Engagement quer durch die Religionen. Und auch vom besonderen Pragmatismus: Auf explizite religiöse Symbolik wurde bewusst verzichtet, es geht schließlich um den Austausch, nicht um einen Wettstreit. Seit Sommer 2014 versammeln sich Juden, Christen und Muslime mehrmals im Monat in dem Zelt zum Gespräch, zu religiösen Festen, gemeinsamen Aktionen, wie etwa Friedensgebeten. Die Schwelle dafür ist denkbar niedrig, niemand muss ein Gotteshaus einer anderen Religion betreten, das Zelt bietet ein offenes Forum, jeder ist gleichermaßen Gast. Das Konzept wird angenommen, und es gibt trotz anfänglicher Befürchtungen auch keinen Vandalismus oder Anfeindungen.

Die Idee ist ausdrücklich, nicht die vermeintlichen Vorzüge oder Nachteile der Glaubensbekenntnisse zu vermessen und auch nicht eine Art Einheitsreligion anzustreben. Durch die Dialogveranstaltungen zu interreligiösen Themen will man ins Gespräch kommen, wo sonst oft nur Sprachlosigkeit herrscht, Wissen erwerben, wo sonst Ahnungslosigkeit zur Ignoranz verleitet. Denn trotz aller Unterschiede, die man sich gegenseitig ausdrücklich zugesteht, gibt es eben auch Verbindendes. Der Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben, praktizierter Menschlichkeit und einer gerechten Gesellschaft spielt in allen drei Religionen eine entscheidende Rolle. Und gerade weil im Namen von Religion Missbrauch getrieben wird und diese Werte dadurch in Gefahr geraten, ist der Dialog so wichtig, findet Hoffmann: „Der Bedarf am Gespräch wird nicht weniger werden.“ Allerdings sieht man sich keinesfalls auf einer Mission zur Zwangsbeglückung oder der Gründung einer neuen Einheitsreligion. „Jeder ist immer herzlich eingeladen, aber niemand hier ist beleidigt, wenn Menschen sich dafür entscheiden, sich auf ihren Glauben zu konzentrieren. Das ist legitim und das respektieren wir. Wenn man Toleranz ernst nimmt, kann man das nicht anders sehen“. Diejenigen, die hingehen, empfinden es als Bereicherung, weil man nicht nur etwas über andere Religionen erfährt, sondern auch einen neuen Zugang zum eigenen Glauben findet, wenn man sich ernsthaft mit Glaube und Religion auseinandersetzt. „Oft fragt man sich dann: Wo genau stehe ich eigentlich? Wie ist meine Haltung? Erst so kann echter, aufrichtiger Dialog entstehen“.

Mit dem Preisgeld möchte man das ausweiten, was man bereits begonnen hat. Neben den vielen Angeboten des Vereins können auch verschiedenste religiöse Gruppierungen, Schul- und Bildungseinrichtungen diesen Ort nutzen und sich über interreligiöse Themen informieren. In Zukunft möchte man auch noch intensiver mit Schulen zusammenarbeiten und die Jugendarbeit verstärken. Denn Religion, das ist ein Thema und das wird es bleiben, da sind sich alle im Förderverein sicher.

2. Preis (9 000 Euro)
Interreligiöser Gesprächskreis Würzburg, Würzburg/Unterfranken


Studierende von Professor Norbert Klaes, Gründer des Interreligiösen Gesprächskreises Würzburg, hatten die Idee, nicht nur internationalen Dialog der Religionen zu fördern, sondern lokal etwas zu unternehmen. So begann 1996 mit ihrer Hilfe der Interreligiöse Gesprächskreis in Würzburg als ein Ort der Begegnung für Anhänger verschiedener Religionen. Bei regelmäßigen Treffen können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenseitig ihre jeweiligen religiösen und kulturellen Hintergründe kennenlernen. Hierfür trifft man sich in Räumen der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, Bildungshäusern oder auch dann und wann in Räumen der Universität. „Zu Beginn vor mehr als 20 Jahren war es eher ein Experiment“. Inzwischen ist daraus eine Konstante geworden, die seit Langem regelmäßig größere gemeinsame Veranstaltungen wie „Gebete der Religionen“ organisiert und sowohl für die Stadt Würzburg, wie auch für Verantwortliche der verschiedenen Religionsgemeinschaften als Ansprechpartner dient.

Wer sich besser kennt, versteht sich besser, davon ist man im Gesprächskreis überzeugt. Und darum soll es gehen. Die Stadtgesellschaft soll lernen, konstruktiv mit den unterschiedlichen Religionen zu leben, es geht um ein friedliches Miteinander in gegenseitigem Verständnis. Wenn man versteht, welche Interessen, Bedürfnisse und Motivationen der jeweils andere hat, hat man die Möglichkeit, diese Interessen, Bedürfnissen und Motivationen zu berücksichtigen. Die religiöse Verschiedenheit, aber auch das Verbindende soll verstanden und wertgeschätzt werden. Dazu gehört auch ganz klar: Hier geht es nie um gegenseitiges Missionieren oder die Schaffung einer Hybrid-Religion. Zielsetzung ist vielmehr eine integrative Stadtgesellschaft, von der alle Bürger profitieren. Die besprochenen Themen sind dabei sehr breit gefächert: Von eher theologischen  Fragen, wie der nach dem jeweiligen Schöpfungsverständnis, über politische Themen wie Kopfttuchstreit oder Kriege, die angeblich im Namen der Religion geführt werden, bis zu sozialen Themen, wie der Frage nach Initiativen für Geflüchtete oder Integrationsprogrammen für muslimische Frauen, findet sich viel Unterschiedliches im Programm des Gesprächskreises. Dabei steht immer der persönliche Austausch der Teilnehmer im Vordergrund, die Treffen sollen nicht den Charakter von Vorlesungen oder Fortbildungen haben. Der Kreis organisiert zudem größere öffentliche Veranstaltungen mit gelegentlich mehreren hundert Teilnehmern und sieht sich in der Pflicht, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, soweit es den interreligiösen Dialog angeht. Mitunter werden beispielsweise Pressemitteilungen verfasst, etwa wenn es um die Positionierung der Religionsgemeinschaften gegen Krieg geht. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Stadt Würzburg geht es vor allem auch darum, Sensibilitäten zu schaffen. „Es wurden beispielsweise nie muslimische Repräsentanten zu offiziellen Veranstaltungen der Stadt eingeladen, christliche und jüdische Vertreter aber selbstverständlich schon. In dieser Angelegenheit wandte sich der Gesprächskreis an die Stadt Würzburg – mit Erfolg: Heute wird auch ein muslimischer Vertreter ganz selbstverständlich eingeladen.

Mit dem Preisgeld möchte man die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften Würzburgs in ihren verschiedenen Initiativen im Bereich „Projekte für Geflüchtete“ vernetzen und unterstützen und dadurch auch verstärkt verschiedene Religionsgruppen miteinander in Kontakt bringen. Denn nicht zuletzt versteht sich der Gesprächskreis nicht nur als Forum für gegenseitigen Austausch und Kennenlernen, sondern auch als Plattform zur Vernetzung zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Glaubensgemeinschaften.

3. Preis (7 500 Euro)
„Interkulturelles Integrationsprojekt mit russischsprachigen Christen, Juden und Muslimen“ der SinN-Stiftung, Nürnberg/Mittelfranken


„Die Menschen, die sich hier einbringen, sind lebendige Brücken“. Projektleiterin Dr. Sabine Arnold bringt den Zweck des Interkulturellen Integrationsprojektes der SinN-Stiftung des evang.-luth. Dekanats Nürnberg in einem Satz auf den Punkt. Hier kommen russisch-sprachige Menschen unterschiedlichen Glaubens zusammen, um an einem sozialen Brennpunkt der Stadt ehrenamtliche soziale Arbeit zu leisten.

Alleine in Nürnberg leben rund 40.000 Menschen, für die Russisch ihre Muttersprache ist, sie stellen nicht nur in der Stadt, sondern auch in der evang.-luth. Landeskirche die größte Zuwanderergruppe. Sie stammen alle aus dem Riesenreich der ehemaligen Sowjetunion, und sind kulturell bzw. religiös sehr unterschiedlich geprägt. Da die UdSSR Religionsausübung verbot, kamen viele dieser Zuwanderer mit ungenauen Kenntnissen von der eigenen Religion und manchmal auch handfesten Vorurteilen gegenüber anderen nach Deutschland. Im Nürnberger Integrationsprojekt sollen falsche Vorstellungen, Ablehnung und Feindseligkeiten durch Bildung und praktische Zusammenarbeit überwunden werden. So helfen etwa ehrenamtliche Muttersprachler anderen Russischsprachigen, deren Deutschkenntnisse unzureichend sind, um beispielsweise alleine Behördengänge zu erledigen. Ob man Christ ist, Jude oder Moslem spielt dabei keine Rolle. Durch praktische Hilfe wird über religiöse Schranken hinweg Verständigung gelebt. Egal ob beim Nachhilfeunterricht für derzeit 130 Kinder und Jugendliche, bei Ferien-Theaterworkshops, kreativen Lern-Gruppen oder beim Kontakt zu den „Stadtteilmüttern St. Leonhard“, die derzeit 12 Flüchtlingsfamilien betreuen – im alltäglichen Umgang kommt es zum interreligiösen Austausch. Konkrete menschliche Beziehungen überwinden Vorurteile, man lernt von- und übereinander. „Unsere Helfer sind gern gesehen. Die kleinen Dinge des Lebens sind wichtig. Einen Arztbesuch zu organisieren etwa. Darüber kommt man ins Gespräch“. In den Nürnberger Stadtteilen St. Leonhard und Schweinau, in dem über 70 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund leben und 15 Asylunterkünfte angesiedelt sind, spiegeln sich die Probleme unserer Welt wider. Unter dieser Herausforderung ist das Projekt zu einem Netzwerk aus ehrenamtlichen Initiativen gewachsen: Die Projektleitung bietet interreligiöse seelsorgerische Beratung sowie Begleitung für Christinnen und Jüdinnen, die mit muslimischen Flüchtlingen arbeiten. Interreligiöse Fortbildungen und Feste sind fester Bestandteil der Arbeit. Was man mit dem Preisgeld anfängt, steht schon fest: Man will gemeinsame Besuche in Moscheen, Synagogen, orthodoxen Kirchen und christlichen Gotteshäusern organisieren.

3. Preis (7 500 Euro)
„Etz-Chaim-Schulpokal“ der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Franken e.V., Nürnberg/Mittelfranken


Einen Pokal, so ist man das gewohnt, bekommt man für einen Sieg. Oder eine besondere Leistung. Oder als Anerkennung der Bemühungen. Aber man bekommt ihn auf jeden Fall immer hinterher. Beim Schulpokal „Etz-Chaim“ (hebräisch: Baum des Lebens) ist das anders. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Franken vergibt den Pokal vorab, er wandert jedes Jahr an eine andere Schule. Nicht als Auszeichnung, sondern als Ansporn für das vorausliegende Schuljahr. Die Schülerinnen und Schüler sollen motiviert werden, verschiedenste Projekte rund um den Themenkomplex „Verständigung der Religionen“ umzusetzen. Da kann es um die Verständigung zwischen Juden und Christen gehen, den Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus oder um das friedliche Zusammenleben der Völker und Religionen. Jeweils Anfang März, in der Woche der Brüderlichkeit, wird einer Schule der Pokal überreicht, nach einem Jahr präsentieren die Schulen dann, was ihnen dazu eingefallen ist.  „Das Besondere ist selbstverständlich, dass dieses Projekt nach vorne blickt. Der Auftrag ist das Wichtigste an dem Pokal. Das löst an den Schulen etwas aus, das beobachten wir immer wieder“, sagt Thomas Ohlwerter, katholisches Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Wichtig ist ihm, dass der Pokal zu allen Schularten wandert. „Wir wollen bei jungen Menschen Sensibilität für dieses Thema wecken, egal welchen schulischen Weg sie eingeschlagen haben.“ Auch nach Abschluss des einjährigen Projektes bleibt man in Kontakt mit den Schulen, der Pokal soll ja nachhaltig wirken. „Die Schülerinnen und Schüler sollen begreifen, dass Demokratie und Freiheit nicht einfach so vom Himmel fallen“, ergänzt die jüdische Vorsitzende Ruth Ceslanski. Auch wenn die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ursprünglich naturgemäß die christlich-jüdische Verständigung zum Ziel hat, hat der Etz-Chaim-Schulpokal eine neue Dimension eröffnet: den Dialog mit anderen Religionen und Konfessionen und auch mit explizit unreligiösen Schülerinnen und Schülern. „Der interreligiöse Dialog ist auch ein Thema in der Stadt, und daher bekommen wir von Oberbürgermeister Ulrich Maly viel Unterstützung.“
Mit dem Preisgeld möchte man die Schulen bei ihren Aktionen multimedial intensiver begleiten können, um die Verbreitung der mit dem Schulpokal verbundenen Anliegen weiter zu erhöhen.

Sonderpreis der Jury (5 000 Euro)
Freunde Abrahams e.V. – Gesellschaft für religionsgeschichtliche Forschung und interreligiösen Dialog, München/Oberbayern


Die einfachen Gedanken sind oft die, die am schwierigsten zu vermitteln sind. Beispielsweise, dass sich Juden, Christen und Muslime nicht nur auf denselben Gott berufen, sondern auch auf einen gemeinsamen Stammvater – nämlich Abraham. Die Bibel übersetzt den Namen übrigens mit „Vater vieler Völker“. Seit 2001 bemüht sich die Gesellschaft Freunde Abrahams, durch wissenschaftliche Beschäftigung mit Religionsgeschichte die gemeinsamen Wurzeln aufzuzeigen. „Diese gemeinsamen Wurzeln können eine Brücke von Ägypten und Kanaan im Jahr 2000 vor Christus bis nach München im Jahr 2017 schlagen“, ist der Ägyptologe Stefan Jakob Wimmer sicher. Er ist der 1. Vorsitzende des Vereins, der ausschließlich von Ehrenamtlichen betrieben wird und der explizit esoterische Gleichmacherei ablehnt. Es soll seriös und wissenschaftlich geforscht, debattiert und nachgedacht werden. Den Anstoß dazu gaben die Terroranschläge des 11. September 2001. Plötzlich war der Islam in aller Munde, aber das Wissen über diese Weltreligion war in der öffentlichen Diskussion eher gering bis gar nicht vorhanden. „So können wir nicht weitermachen“, das war der Gedanke einiger Gleichgesinnter, erinnert sich Wimmer. Spiritus Rektor war Professor Manfred Görg, damals Inhaber des Lehrstuhls für Altes Testament an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Es ging nicht nur um persönlichen Austausch, sondern auch um wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, der eine gesicherte Basis für seriöse Debatten liefern sollte. Man will nicht übereinander reden, sondern miteinander und dabei steht die Wertschätzung dessen im Mittelpunkt, was uns jeweils wichtig und wertvoll ist, so Yvonne Baur-Saleh, die 2. Vorsitzende. Allen ist klar: einfache Antworten gibt es nicht. Verständigung und gegenseitiger Respekt zwischen Juden, Christen, Muslimen, aber auch Menschen weiterer Religionen und Konfessionslosen, können aus wissenschaftlich fundierter Beschäftigung mit Religionsgeschichte wachsen, davon sind die Freunde Abrahams überzeugt. Manches, was an nicht vertrauten Religionen heute vielleicht trennend erscheinen oder irritieren mag, wird zugänglich und verständlich, wenn es im Kontext der gemeinsamen Entstehungsgeschichten beleuchtet wird.

Die Freunde Abrahams laden dazu kompetente, renommierte Referenten zum Gedankenaustausch ein, beteiligen sich an wissenschaftlichen Projekten zu religionsgeschichtlicher Grundlagenforschung, bieten auch spirituelle Angebote, kooperieren mit christlichen, jüdischen und muslimischen Partnern, publizieren die Ergebnisse ihrer Prozesse und stehen für die Medien als kompetente Gesprächspartner bereit. All das ohne eigene Räume, mit improvisierter Logistik und viel Engagement von Ehrenamtlichen, die voll im Berufsleben stehen. Umso größer die Freude über das Preisgeld, das man unter anderem in die Öffentlichkeitsarbeit stecken will. „Es ist ein Teufelskreis: Von den Medien wahrgenommen wird noch nicht, wer gute, wichtige Arbeit leistet, sondern vor allem, wer genügend Mittel für Öffentlichkeitsarbeit hat. Um diese Mittel einzuwerben, brauchen wir aber entsprechende Wahrnehmung“, erklärt Wimmer. Da man sich ausschließlich von Mitgliedsbeiträgen finanziere, freue man sich über das Preisgeld, besonders aber auch über die damit verbundene Würdigung.


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