Anhörung zum Thema „Sicherheitspolitische Lage in Europa"
Drei Jahre nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine – Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Resilienz
25. Februar 2025
MÜNCHEN. Welche Risiken gibt es mit Blick auf die Sicherheit in Europa und wie kann die Bevölkerung gegen Bedrohungen geschützt werden? In einer Experten-Anhörung verschafften sich die Mitglieder des Europa-Ausschusses einen Überblick zu diesen zentralen Fragen.
Überschattet von dem seit fast exakt drei Jahre währenden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat sich der Europaausschuss des Landtags damit beschäftigt, wie sich Staat und Gesellschaft in Bayern gegen Krisen und Bedrohungen behaupten können. „Wir müssen uns wappnen“, sagte die stellvertretende Ausschussvorsitzende Ulrike Müller (FREIE WÄHLER) und war sich darin mit den acht eingeladenen Expertinnen und Experten einig. Diese warnten vor allem vor hybriden Bedrohungen, also unterschiedlichen Formen der Einflussnahme durch fremde Staaten wie Desinformationskampagnen, Cyberangriffen auf Behörden und Unternehmen, Spionage, Sabotage kritischer Infrastrukturen sowie Versuche, auf Wirtschaft, Politik und Wahlen Einfluss zu nehmen. In der Anhörung auf Antrag der FREIEN WÄHLER und der CSU ging es auch um die Stärkung der Resilienz, also der Fähigkeit, mit Belastungen umzugehen und gestärkt daraus hervorzugehen.
„Verteidigungsbereit werden, auch mental“
Auf die militärischen Aspekte konzentrierte sich Brigadegeneral Thomas Hambach. Der Kommandeur des Landeskommandos Bayern warnte: „Die Lage ist für Deutschland so ernst, wie ich sie nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht kritischer erlebt habe.“ Hambach verwies auf Ereignisse, mit denen Deutschland getestet werden solle. Tägliche Cyberangriffe, Spionage wie Drohnenflüge über Bundeswehrgelände und Sabotage wie durchgeschnittene Kabelbäume an Schiffen in der Werft sollten Reaktionen provozieren. Spätestens ab 2029, so die Einschätzung des Brigadegenerals, ist Russland in der Lage, eine ernste Bedrohung für die NATO zu sein. Er appellierte, möglichst schnell verteidigungsbereit zu werden, auch im mentalen Sinn willens zu sein, das eigene Land zu verteidigen. Das betreffe die gesamte Gesellschaft, nicht nur die Bundeswehr. Der „Operationsplan Deutschland“, ein Plan zur Verteidigung von wichtiger Infrastruktur im Verteidigungsfall, sieht Hambach zufolge als wesentliche Leistung des Landes vor, die Versorgung der NATO-Streitkräfte als Drehscheibe zu garantieren. Der Plan umfasst somit militärische, aber auch zivile Anteile.
Unterstützung für die Aussagen Hambachs kam aus wissenschaftlicher Sicht von Verena Jackson. Die Juristin ist Researcher am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Universität der Bundeswehr München und sieht die internationale Ordnung ebenfalls am Scheideweg. Die NATO sei kein verlässlicher Partner mehr. Jackson rief dazu auf, die Allianzen in Europa zu stärken. Es gebe nicht nur eine Bedrohung oder ein Problem, sondern multiple: Ernährungskrise, Klimawandel, Migration. Notwendig für die Bundeswehr sei deshalb, die finanziellen Ausgaben zu verstetigen, die Wehrbereitschaft sowie die Cyberresilienz zu erhöhen und die Gesamtverteidigung zu sichern. „Wenn es nicht jetzt passiert, dann ist es zu spät!“, so ihre Warnung.
Resilienz durch Medienbildung
Für Nathalie Rücker vom Institute for Strategic Dialogue (ISD Germany) besteht eine weitere Gefahrenquelle in der Desinformation und in hybriden Bedrohungen aus dem Ausland, wie gefälschte Internetseiten oder Bots, die sich gezielt an die deutsche Bevölkerung richten. Sie forderte koordinierte Strategien, um Informationsmanipulationen zu bekämpfen. Beteiligt werden sollte dabei nicht nur der deutsche Staat, sondern auch die Zivilgesellschaft. Sie verwies zudem auf den Austausch mit anderen europäischen Staaten und nannte Finnland als besonders gutes Beispiel. Dort zeige sich „wie man durch Medienbildung die Resilienz der Bevölkerung stärken konnte, so dass sich die Bevölkerung selbst schützt gegen Einflüsse von extremistischen Akteuren.“ Es gehe darum, die Bevölkerung zu schulen, welche Ziele und Motive hinter Desinformation steckten.
„Des einen Desinfomation ist des anderen Öffentlichkeitsarbeit“, sagte Dr. Albrecht Rothacher, Gesandter-Botschaftsrat a.D. des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Alle Nationen der Welt seien in dieser Weise aktiv, berichtete Rothacher von seinen eigenen Erfahrungen. Er bestritt, dass Rechtsradikale durch russischen Einfluss stärker geworden seien. „Was den Kreml wirklich interessiert, ist nicht die Opposition, sondern das sind Männer an der Macht.“ Seine Äußerungen zu Versuchen russischer Einflussnahme, „der Kreml hat einen sehr merkwürdigen Sinn für Humor, das sind Störaktionen, die er macht, um sich zu amüsieren, das ist vielleicht Putins Sinn von schwarzem Humor“, provozierte heftigen Widerspruch unter den Abgeordneten.
Mehr Personal in Kommunen nötig
Andrea Degl, Geschäftsführerin des Bayerischen Landkreistags, machte darauf aufmerksam, dass sich, unabhängig von der rechtlichen Zuständigkeit, die Bürgerinnen und Bürger an ihren Landrat oder Bürgermeister wenden, wenn sich nach politischen Entscheidungen ihre Lebensumstände verändern. Zivile Verteidigung und Zivilschutz liegen zwar beim Bund und der Katastrophenschutz ist Landesaufgabe, aber die Landratsämter müssen die Weisungen realisieren. Im Freistaat gibt es laut Degl etablierte dezentrale Strukturen für den Katastrophenschutz, allerdings fehlen Vorgaben des Bundes für den Zivilschutz. Zudem mangele es angesichts der neuartigen Bedrohungslage an Mitarbeitern. Beim Krisenmanagement bedürfe es ferner einer bundesweit einheitlichen und verständlichen Kommunikation. „Wir wollen keine Panik schüren, aber wir wollen informieren“, sagte die Geschäftsführerin des Bayerischen Landkreistags.
Kommunikation spielt in den Augen der Fachleute eine entscheidende Rolle. Nicht nur, um im Krisenfall konkrete Handlungsanweisungen zu geben, sondern schon zuvor, wenn es darum geht, die Bevölkerung zu sensibilisieren. „Was können wir glauben? Ist das wahr? Kann ich dem glauben?“ fasste Ministerialdirektor Jörn Thießen Fragen zusammen, die sich im Rahmen von Desinformationskampagnen stellen. Der Leiter der Abteilung Heimat im Bundesministerium des Innern und für Heimat in Berlin wies darauf hin, dass solche Kampagnen gezielt gesteuert werden. So betreibe Russland psychologische Kriegsführung und ziele darauf ab, die Legitimation der politischen Repräsentanten zu zerstören. Er setzt auf zwei Faktoren, um gegen Desinformation zu kämpfen. Zum einen die Förderung von Qualitätsjournalismus, der die Grundlage für die Meinungsbildung ist, zum anderen auf die Schulung von Lehrkräften, um die Resilienz an Schulen zu steigern. Im Zentrum steht Thießen zufolge die Frage, was die Menschen von der Demokratie wissen und was sie verteidigen wollen.
Resilienz der kritischen Infrastruktur verbessern
Albrecht Broemme, Vorstandsvorsitzender des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, sieht in der Durchhaltefähigkeit hierzulande einen Schwachpunkt. „Solange Deutschland nur wenig resilient ist, ist es auch ein willkommenes Angriffsziel für andere Stellen, intern oder extern.“ Die Ukraine sei da wesentlich weiter und ein gutes Beispiel für erfolgreiche Resilienz. Der Katastrophenschutz, ist nach Broemmes Einschätzung „aus der Schmuddelecke herausgekommen und salonfähig geworden“. Nun gelte es die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung, der Verwaltung und der Wirtschaft vor allem hinsichtlich der kritischen Infrastruktur zu verbessern. Krankenhäuser, Transportwege, Energie- und Wasserversorgung, Informationstechnik und Verwaltung müssten auch im Krisenfall gesichert sein. Das koste. Er geht von einem enormen Investitionsbedarf aus. Der Vorstandsvorsitzende des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit sieht es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, den aktuellen Herausforderungen durch gemeinsames Handeln zu begegnen. Bayern sei da schon auf einem guten Weg. Dass sich der Bayerische Landtag als erster Landtag seit dem Angriffskrieg überhaupt mit dem Thema beschäftigt, lobte Broemme besonders.
Dem schlossen sich weitere Sachverständige an. Hans Ulrich Gössl von der Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (DG ECHO) der Europäischen Kommission in Brüssel erklärte, Risikolandschaft und Sicherheitslage in Europa hätten sich dramatisch verändert. Darauf habe die Politik reagiert, der Katastrophenschutz sei ins Scheinwerferlicht gerückt und zur Chefsache geworden. Voraussichtlich Ende März soll demnach eine neue EU-Strategie zur verbesserten Krisenvorbereitung veröffentlicht werden, die unter anderem sektorenübergreifende Investitionen in das Gesamtsystem vorsieht. Gereift sei auch die Erkenntnis, dass ein proaktiverer Ansatz nötig sei. „Alle gesellschaftliche Akteure müssen ein Angebot bekommen, eine Rolle zu spielen.“
Gutes Beispiel: Finnland
In der Fragerunde verwahrten sich Gabi Schmidt von den FREIEN WÄHLERN und ihr Fraktionskollege, der Vorsitzende des Innenausschusses Roland Weigert, gegen die Schwarze-Humor-Aussage Rothachers. Der Überfall auf ein Land habe nichts mit schwarzem Humor zu tun, und solche Aussagen zur russischen Desinformationskampagne seien verharmlosend und kritisch. Dr. Gerhard Hopp (CSU) berichtete von den Erfahrungen der Abgeordneten während einer Informationsreise nach Finnland und wollte von den Sachverständigen wissen, wie es gelingen könne, die Dringlichkeit der Lage für jeden persönlich greifbar zu machen. Auch Benjamin Adjei von der Fraktion BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN wollte mehr über die finnische Resilienz gegen Fake News wissen. Angesichts von chinesischen Investitionen in europäische Infrastruktur erkundigte sich der Vizepräsident des Bayerischen Landtags Markus Rinderspacher (SPD), ob neue Investitionskontrollen nötig seien. Martin Böhm von der AfD mahnte, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die von Bayern aus bestimmt werden können. Er fragte, inwiefern die Versorgung der bayerischen Polizei mit Kraftstoffen und Notstrom im Krisenfall gesichert sei.
Den Ausführungen und Vorschlägen der Sachverständigen sowie den Fragen der Ausschussmitglieder lauschten auch zahlreiche Ehrengäste, u.a. aus Litauen und Tschechien. Der Generalkonsul von Litauen, Donatas Kušlys, nutzte die Gelegenheit, sich für die Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen zu bedanken.
/ Miriam Zerbel