Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller im Bayerischen Landtag: „Wir leben in einem globalen Dorf“

18.02.2020

Kriege und Korruption, Klimawandel und Hunger – mit Blick auf Afrikas Zukunft hat Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller bei seinem Besuch im Landtag trotz aller Konflikte und Probleme auch ermutigende Perspektiven aufgezeigt. Voraussetzung für eine positive Entwicklung sei es, dass Europa entschlossen handle – auch aus Eigeninteresse. „Wir leben in einem globalen Dorf, wo alles mit allem zusammenhängt“, betonte der Bundesminister.

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Bei seinem Besuch im Landtag traf Bundesminister Dr. Gerd Müller bei einem Arbeitsessen zunächst mit Erstem Vizepräsidenten Karl Freller, den entwicklungspolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen (MdL Klaus Steiner, MdL Hep Monatzeder, MdL Gabi Schmidt, MdL Uli Henkel) und den beiden Vorsitzenden des Europaausschusses (Tobias Gotthardt und Dr. Franz Rieger) zusammen. „Es ist dem Bayerischen Landtag ein großes und gemeinsames Anliegen, jungen Menschen in ihrer Heimat oder in Heimatnähe eine Zukunft zu geben“, erklärte Karl Freller. Der Landtagsvizepräsident verwies auf die entwicklungspolitischen Leitsätze, die Bayerns Parlament im Jahr 2016 verabschiedet hat. Seither richte Bayern den Fokus seiner Entwicklungszusammenarbeit verstärkt auf Afrika. Neben den Initiativen, die von Seiten der Staatsregierung angestoßen wurden, sei zwischenzeitlich – im kleineren Rahmen – auch der Bayerische Landtag mit einem Bildungsprojekt entwicklungspolitisch aktiv geworden.

Müller würdigte ausdrücklich das Engagement der Bundesländer in der Entwicklungszusammenarbeit und die von Bayern nun vorgenommene Schwerpunktsetzung auf Afrika (Stichwort: Bayerisches Afrikapaket(Dokument vorlesen)): „Wir müssen weg von der Gießkanne, hin zu mehr Effizienz und Wirksamkeit“, forderte er in dem anschließenden, im Europaausschuss des Landtags fortgesetzten Gespräch. Durch die Konzentration auf Reformpartnerländer entstünden dort wichtige „Leuchttürme“. Es gelte, in den Ländern Afrikas die Strukturen für Frieden, Sicherheit und eine gute Regierungsführung (sogenannte „good governance“) zu stärken, schließlich seien diese Voraussetzung für Investitionen seitens der Wirtschaft in Handel und Produktion.

„Es ist möglich, in den nächsten zehn Jahren ein Afrika ohne Hunger zu schaffen“

Wie groß die Herausforderungen sind, veranschaulichte Müller anhand des rasanten Wachstums der Bevölkerung: Bis 2050 würden in Afrika 2 Milliarden Babys geboren. Die Bevölkerung Afrikas würde sich damit verdoppeln. Jedes Jahr drängten 20 Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt – ein jeder von ihnen auf der Suche nach einer Zukunft und einem guten Leben. „Perspektivlosigkeit, Not, Elend und Hunger führen dazu, dass sich immer mehr junge Afrikaner auf den Weg in Richtung Europa aufmachen oder sich einer Terrorgruppe anschließen“, mahnte der Bundesminister. Dabei ist es aus seiner Sicht möglich, in den nächsten zehn Jahren ein Afrika ohne Hunger zu schaffen – durch Investitionen in die Landwirtschaft, Wasserversorgung, Ausbildungen. Die Europäische Union müsse dafür aber weit mehr Gelder zur Verfügung stellen. Dagegen steige im mehrjährigen Finanzrahmen der EU für 2021 bis 2027 der Anteil für die Entwicklung Afrikas – Klima, Energie, Arbeitsplätze und Kampf gegen den Hunger – nur von fünf auf sechs Milliarden Euro im Jahr. Dies seien Regentropfen, kritisierte Müller.

„Afrikas Sonne scheint an 365 Tagen im Jahr“

Eine entscheidende Rolle spielt, wie Müller immer wieder betonte, der Umwelt und Klimaschutz: Viele Menschen müßten ihre Heimatregion auch deshalb verlassen, weil sie dort keine Lebensgrundlage mehr haben. Zur Stromgewinnung – 600 Millionen Menschen auf dem Kontinent haben noch keinen Zugang zu Strom – seien in Afrika 450 Kohlekraftwerke in Planung und Bau. Müller forderte einen Technologietransfer zum Aufbau erneuerbarer Energien in Afrika, der zugleich auch eine „Win-win-Situation“ für deutsche Firmen darstellen könne: „Afrikas Sonne scheint an 365 Tagen im Jahr“, betonte er. Es sei möglich, mit Solarstrom sehr kostengünstig Wasserstoff, den Energieträger der Zukunft, zu produzieren. „Afrika darf nicht der schwarze Kontinent der Kohle werden, sondern muss und kann der grüne Kontinent der erneuerbaren Energien werden.“

Umwelt- und Sozialstandards in den Lieferketten

Der Bundesminister kam auch auf die Handelsbeziehungen mit Afrika zu sprechen: Kein Smartphone würde ohne Kobalt aus Afrika funktionieren. Dessen Abbau fuße oft auf der Ausbeutung afrikanischer Kinder. Jeanshosen, in Äthiopien von Frauen für einen Stundenlohn von 25 Cent produziert, würden in Europa für 60 Euro und mehr verkauft. „Am Anfang vieler Lieferketten unserer Produkte verdienen die Menschen oft nur Hungerlöhne, da bleibt nichts für Schulbildung oder Gesundheitsversorgung.“ Müller forderte verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in den Lieferketten und verwies auf das von ihm initiierte Textilsiegel „Grüner Knopf“, mit dem sich die Lieferkette von der Näherei bis zum Verkauf in Deutschland nachvollziehen lässt, und das einen fairen Handel garantiere. Noch sei der Widerstand der Verbände gewaltig, aber immer mehr Unternehmen – darunter auch schon große Handelsketten – machten mit. Der „Grüne Knopf“ beweise, dass es geht – auch bei anderen Lieferketten. „Ich jedenfalls möchte kein deutsches Unternehmen mehr sehen, das mit Kinderarbeit produziert“, erklärte Müller.

Die Worte des Bundesministers fanden im Ausschuss fraktionsübergreifend viel Zuspruch – das wurde in der anschließenden Aussprache deutlich. „Sie sind ein Motivator, der uns motiviert, auch mal in eine andere Richtung zu denken“, stellte Hep Monatzeder anerkennend fest. Auch Europaausschussvorsitzender Tobias Gotthardt zeigte sich angetan, von der visionären Kraft des Bundesministers. Er habe es geschafft, dass die Entwicklungszusammenarbeit, einst ein Nischenthema, heute als großes Querschnittsthema begriffen wird.

Katja Helmö, Video: Anja Schuchardt

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